Warum wir spielen

Warum wir spielen 

Was social games so interessant macht

Gamification oder die Frage, was Spiele denn eigentlich aus Sicht der User so attraktiv macht? Wer wäre dazu besser geeignet als ein Konzeptioner aus dem Game Design! Ich spreche mit Helge Looft (HL), Senior User Experience Strategist bei der Exozet Group in Berlin. Einer, der sich auskennt, und uns vor allem erklären kann, warum die halbe Welt zu virtuellen Bauern, Mafiabossen oder Pokerfaces wird.

TB: Andauernd bekomme ich auf Facebook eine Einladung, jetzt auch endlich unter die Landwirte zu gehen. Bisher konnte ich mich erfolgreich wehren, aber warum sind die sogenannten Social Games wie Farmville oder MafiaWars für Millionen von Menschen so attraktiv? Was macht sie so erfolgreich?

HL: Ich denke das A und O eines guten Spiels sind drei Dinge: Erstens die Idee oder das Setting, zweitens das Balancing bzw. die Konzeption des Lebenszyklus und drittens, speziell für den Facebook-Bereich: wie ist der KPI-Faktor, die Viralität und die Retention-Rate eines Spiels. Das heißt, wie viele Leute kommen nach der Oszillation nach einem Tag, nach drei Tagen, nach einer Woche wieder. Man muss in der Nutzeranalyse erkennen, wie viel tägliche, wöchentliche, monatliche Nutzer ein Spiel hat, um den Gesamterfolg wirklich messen zu können.

TB: Wie erreichst du denn, dass die Leute wiederkommen?

HL: Einerseits durch Bonusmechanismen, die einen herausfordern sich täglich erneut einzuloggen, um die Kette der Boni, die man sich freispielt, nicht wieder zu verlieren. Das nennt man den loss of aversion Moment. Jeder, der in einem Spiel etwas erreicht hat, möchte das gerne behalten und keine Regression im Spiel erleben. Außerdem ist die Interaktion mit Freunden in einem Spiel unheimlich wichtig. Das heißt, ich versuche künstliche Verknappung zu erzeugen, die der Spieler nur durch Freunde kompensieren kann. Dadurch möchte der Spieler jeden Tag erfahren, ob er Objekte, die er von Freunden erhalten hat, auch wirklich verwenden kann, um seinen Fortschritt auszubauen. So hat der Spieler ein tägliches Interesse daran, die Sachen zu vervollständigen, und kommt wieder ins Spiel.

TB: Wenn ich Boni dazu bekomme, heißt das dann auch, dass ich sie wieder verliere, wenn ich nicht spiele?

HL: Nein. Nichtspielen bedeutet Stagnation aber nicht Regression. Beim Game Design geht es um Ritualisierung und die Taktung. Das bedeutet, wir haben fast bei allen Spielen im Social Media Bereich, klassische Momente des Ansähens, des Abwartens und des Einsammelns. Als Game Designer lege ich deshalb Gegenstände an, die in 4, 8 oder 24 Stunden fertig sind, weil ich natürlich möchte, dass der Spieler am Abend oder am nächsten Tag wiederkommt. Diese Taktung versuche ich möglichst lange aufrechtzuerhalten. Erst ab einem gewissen Level kann ich dieses Ritual ein wenig lockern.

TB: Weil man sich dann sicher sein kann, dass jemand Blut geleckt hat?

HL: Ja, weil der Spieler, der dieses Level erreicht hat, wahrscheinlich sowieso täglich wiederkommt. Sonst ist wahrscheinlich Hopfen und Malz verloren.

TB: In der Literatur wird öfter beschrieben, dass es dem Spieler auch darum geht ein Spiel zu beherrschen. Man spricht hier von Game Mastery. Wie erreiche ich das denn? Ein Spiel sollte doch den Spieler nicht überfordern und gleichzeitig aber nicht zu langweilig sein, siehst du das auch so?

HL: Langatmig darf kein einziges Spiel sein, sonst komme ich gar nicht wieder. Das ist ein Grundprinzip.  Und das zweite ist natürlich der Aktivitätsgraph, den du gerade schon beschrieben hast. Der Spieler darf natürlich nicht überfordert werden. Das heißt, ich brauche einen Anreiz, den es zu meistern gilt, aber ich darf auch nicht gestresst sein. Ich brauche immer ein mittleres Stressniveau. Das muss gehalten werden – permanent!

TB:  Verstanden! Jetzt versuchen sich ja viele an diesen Erfolg anzuhängen bzw. Produkte und Services mit den Game Features etwas aufzuhübschen. Wie würdest du denn das Phänomen Gamification definieren?

HL: Das ist eigentlich der Transfer von Mechanismen, die ursprünglich aus dem Spielebereich kommen, in den Web- oder sogar in den Real-Life-Bereich. Die Idee ist ja nicht neu. Da gibt es ja bereits eine ganze Menge praktischer Beispiele. PayBack-Punkte-Karten sind ein ganz klassisches Prinzip, um die Kundenbindung durch spielerische Belohnung zu erreichen. Weiter gibt es schon länger sogenannte limited offer sales, wo ein Produkt für einen bestimmten Zeitraum besonders günstig angeboten wird. Oder die buy-one-get-one-free Aktionen. Das sind Klassiker, die aber alle unter diese Kategorie fallen.

TB: Das gibt es ja ganz unterschiedliche Meinungen. Es gibt ja Marketing-orientierte Designer wie Zicherman, die das hohe Lied auf die Gamification singen und dann gibt es die klassischen Gamedesigner, die dem ganzen etwas kritischer gegenüber stehen, weil sie Gamification für eine Manipulation der Kunden halten. Wo stehst denn du?

HL: Manipulation heißt ja nicht, dass es schlecht ist. Bei Gütern, die mich interessieren, ist das auf jeden Fall ein Anreiz. Wenn mich ein Produkt aber nicht interessiert, bringt auch die beste Gamification wahrscheinlich wenig.

TB: Das heißt, das Produkt muss gut sein, und alles andere ist nur ein zusätzlicher Anreiz…

HL: Definitiv. Wenn ich kein Interesse habe, ein Auto zu kaufen, würde mich auch eine Gamification-Maßnahme nicht motivieren, trotzdem eins zu kaufen - weil ich es entweder nicht brauche oder es mir nicht leisten kann.

TB: Motivation ist ja ein interessantes Stichwort. Wenn ich jeden Tag ein Social Game spiele, bin ich dann  intrinsisch oder extrinsisch motiviert?

HL:  Also, ich stehe dem gesamten kognitiven Ansatz der intrinsischen und extrinsischen Motivation sehr kritisch gegenüber, weil die emotionale Motivation meistens ausgeklammert wird. Das Bedürfnis-Modell ist ein sehr einfaches und geht meines Erachtens nicht weit genug, weil die Motivationstheorie als solche sehr komplex ist. Um es kurz zu machen: Ich brauche nicht unbedingt einen extrinsischen Impuls, der mich motiviert, etwas zu tun, wenn eine emotionale Belohnung auf mich wartet.

TB: Also das heißt, der Faktor Emotion gehört auf jeden Fall mit rein?

HL: Nehmen wir mal ein ganz einfaches Beispiel. Ein Social Game, das wahrscheinlich jeder kennt, ist Farmville. Alle Spieler haben das gleiche Spiel - jeder für sich. Aber dem gegenüber haben wir 82 Millionen Nutzer, die über den Shop alle die gleichen Güter kaufen können. Das heißt, jeder spielt mit denselben Elementen und baut aber trotzdem immer einen neuen, individuellen Bauernhof auf. Wenn ich jetzt also acht oder zehn Stunden gearbeitet habe, was motiviert mich denn dabei, jetzt noch meine Farm schön zu gestalten? Es ist ja keine wirkliche Belohnung, sondern es ist ja ein emotionaler Aspekt für mich, dass meine Farm jetzt schick aussieht. Das ist eine Verschönerungsmaßnahme, die ich wirklich nur für mich selbst mache, ohne dass mich dafür ein anderer Mensch noch einmal extra belohnt. Das ist ein ostentatives Phänomen. Ich möchte mich gegenüber anderen Freunden gut darstellen und repräsentieren. Dafür brauche  ich einen inneren Ansporn, ohne dass ich noch eine extra Belohnung dafür erhalte.

TB: Also ein Statussymbol. Frei nach dem Motto: „Ich zeige, was ich habe.“ Das ist ja generell im Social Media Bereich sehr wichtig. Welche Rolle spielt das hier?

HL: Ich denke eher, das Motto ist nicht: “ich zeige nicht, was ich habe, sondern ich zeige, wer ich bin.“ Also eine Ausdrucksmöglichkeit über die erstandenen Items! Denn es handelt sich nicht um ubiquitäre Güter. Das gleiche Phänomen finden wir wahrscheinlich auch bei Mindcraft, wo viele Leute mit denselben Bausteinen spielen und trotzdem etwas völlig Eigenständiges und Uniques produzieren wollen. Einfach um zu zeigen, was sie oder wer sind. Also das Kreationsmoment wird da sehr groß geschrieben.

TB: Die Frage ist jetzt, wie diese Entwicklung weiter geht. Gerade im Bereich der Location-Based-Services kann man das Zusammenspiel mit Gamified Features bewundern. Wie beurteilst du das? Ist das ein Weg, der nachvollziehbar ist? Oder ist das nur ein kurzes Phänomen?

HL: Ob es ein kurzes Phänomen ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Dafür gibt es diese Entwicklung einfach noch nicht lang genug. Momentan finde ich es sehr spannend zu sehen, wie sich Location-Based-Services immer mehr mit Push-Benachrichtigungen verheiraten. So dass ich immer, wenn ich unterwegs bin, und ich mich in der Nähe eines Starbucks oder McDonalds befinde, theoretisch einen Gutschein via Push auf mein Handy bekomme kann. Nur weil mein Telefon erkennt, dass ich gerade in diesem Moment an diesen Ort bin. Das halte ich für relativ smartes Advertising – für den Moment.

TB: Das sind ja kommerzielle Incentives: Ich kriege meinen Kaffee billiger oder ähnliche Dinge. Könntest du dir auch andere Incentives vorstellen, die da ein Treiber sein könnten? Siehst du darüber hinaus noch Möglichkeiten, wie sich Leute untereinander mit dieser Technologie stärker vernetzen können – zum Beispiel bei Foursquare?

HL: Also bei Foursquare glaube ich schon, dass es – zumindest in der Theorie - eine Multi-Player-Komponente gibt. Aber die interessante Frage ist doch, wie man die Endgeräte untereinander verbindet, so dass Multi-Player-Elemente möglich sind. Es ist doch klar, dass jüngere Menschen, die sowieso in peer-groups unterwegs sind, sich gemeinsam für gewisse Produkte interessieren. Wenn die zusammen unterwegs sind, dann macht es natürlich Sinn, ganze Gruppen anzusprechen und nicht nur einzelne Individuen. Also das wäre ein Faktor, der noch wenig angegangen wird.

TB: Was hältst du denn von Foursquare?

HL: Nichts. [Lacht]. Ich benutze es nicht. Momentan halte ich da noch relativ wenig davon, weil ich eigentlich kein wirkliches Interesse daran habe, anderen Leuten meinen Ort mitzuteilen. Ich habe die Friends-Funktion auf meinem iPhone, so dass ich da Zugriffsbestimmungen erteilen kann, wer meinen aktuellen Ort sehen darf und wer nicht. Aber das reicht dann auch, weil ich das als einen Teil meiner Privatsphäre betrachte.

TB: OK, das spiegeln ja auch die Zahlen wieder. Foursquare hat ja ein rasantes Wachstum hingelegt. Ich glaube, die haben in den letzten Jahren 20 Millionen Leute schnell erreicht, wobei zeitgleich die täglichen Check-Ins gesunken sind. Was ich sehr bezeichnend finde. Gibt es da dann nicht ein Engagement Problem? Foursquare schafft es ja momentan noch nicht, die Leute längerfristig zu begeistern. Und der Nutzen wird immer noch nicht ganz klar.

HL: Die Frage wäre natürlich, ob dieser Lifecycle von Foursquare kongruent oder anti-proportional zur Entwicklung von Facebook Places verlief. Vielleicht sind da Sachen abgegraben worden. Es gibt ja auch noch ähnliche Dienste, wo sich das Ganze einfach nur neu verteilt hat.

TB: Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Ich danke dir für dieses Gespräch!